Rede zu 35 JAHRE ZIEGLER FILM

von Dr. Norbert Schnieder (Direktor LfR Düsseldorf)

anlässlich der Jubiläumsfeier 35 Jahre Ziegler Film.

(es gilt das jeweils gehörte Wort)

Wenn wir in diesem Jahr den 323. Geburtstag von Johann Sebastian Bach feiern, im Fernsehen wahrscheinlich moderiert von – nein, nicht was Sie denken, sondern von Florian Silbereisen; denn was war Bach für die ARD je anderes als Volksmusiker? Aber das führt jetzt ab. Was ich sagen will ist: wenn wir Bach feiern, dann feiern wir in der Erkenntnis, daß Bach selbst nur fünfundsechzig mal persönlich dabei gewesen ist.

 

Auch das war und ist bei Regina Ziegler anders. Sie hat, zunächst jahrelang allein, dann mit ihrer Tochter Tanja an allen Geburtstagen des Hauses Ziegler persönlich teilgenommen. Bei diesen Anlässen wurde, nun wieder ganz ähnlich wie bei Bach, gesagt, was zu sagen war. So ist mir aus eigenen Beständen etwa dies in Erinnerung (Laudatio bei Verleihung der Berlinale-Kamera):

 

„was sie hat, kommt vom Arbeiten, nicht vom Erben. Sie gehört nicht, wie manche ihrer Kollegen, schon immer zur Generation Golfplatz, auch wenn sie neuerdings Schläger nicht mehr nur besetzt, sondern auch mal in die Hand nimmt. Wenn es um Geld oder Leben geht, wählte sie meist das Leben.

 

Im Grunde hat sie alles. So hat sie zum Beispiel keine dieser langlaufenden Serien wie die Bavaria oder Studio Hamburg. Kaum hat sie etwas, muß sie etwas tun. Gemäß der Erkenntnis, daß nicht geschehene Taten oft einen katastrophalen Mangel an Folgen auslösen

 

Sie hat keine Angst und falls doch, so zeigt sie uns nichts davon, etwa von jener Urangst des Produzenten vor jenen Künstlern, die Sagen: ich mache Kunst! Koste es, wen es wolle! Immer wieder hat sie diese Spielfilme riskiert, allein gegen die Bank und gegen die Kunst, in einem Land, in dem man sich den eigenen Film lieber schenkt, als daß man sich für eigenes Geld eine Karte kauft.

 

Im Grunde also hat sie eigentlich alles. Sie hat, wenn wir schon dabei sind, nicht nur 300 Stücke produziert in 35 Jahren. Sie hat auch mit dem jeweils Regierenden Bürgermeister, mit Eberhard Diepgen also, gefrühstückt. Einmal im Jahr, jahrelang, in schlechten Jahren zwei mal. Völlig ohne Folgen. Mit Wowereit hat sie das gar nicht erst angefangen.

 

Nein, Regina hat nicht nur was. Sie hat alles. Sie lebt in der wahrscheinlich längsten Produzentenehe der Welt. Denn sie hat Gremm. Und sie hat einen Grimme-Preis. Sie hat sich nie beklagt. Auch nicht darüber, daß sie noch keinen Oskar hat. Denn will sie noch. Soviel Humor hat sie eben auch. Und sie hat uns.

 

Es hat Regina Ziegler immer gefallen, sowohl bei Zeus auf dem Olymp zu weilen als auch bei Hempels unterm Sofa zu kramen. Sie hat in ihrer Arbeit, wenn sich´s denn fügte, auch mal beide miteinander bekannt gemacht. Mit Spaß am gegenseitigen Erschrecken. Und wenn ihr jemand erklären wollte, daß man doch nicht beides dürfe, daß man sich da entscheiden müsse, für die eine oder die andere Seite, dann würde sie sagen: wenn ich zwei Alternativen habe, dann entscheide ich mich erst für die eine und anschließend auch noch für die andere. Vielleicht würde sie auch sagen: Prinzipien muß man sich leisten können.“

 

Für den heutigen Tag ist, was die Prinzipalin betrifft, eigentlich nur eine Frage noch offen. Sie hat nichts mit Zahlen zu tun – wie viel Filme? wie viel Schulden? wie viel Preise? Wie viel Enkel? Sie hat zu tun mit Regina an und für sich, nicht mit dem, was sie hat - zum Beispiel, wie man auch heute sehen kann, auffällig viele gute Freunde -, sondern mit dem, was sie ist.

 

Was ist das für ein Beruf, der es erlaubt, daß man auch noch nach 35 Jahren Menschen zum Essen einlädt, die aber gar nicht deshalb kommen? Was ist das wirklich – eine Produzentin? Wenn man nicht einfach sagen möchte wie beim Zitronenfalter: das ist eben jemand der produziert?

 

Auf solche Kernfragen holt man sich heute Antwort bei Google. Die Intellektuellen bei Wikipedia. Doch Google schweigt und Wikipedia antwortet nicht. Auch Puh der Bär hilft hier nicht weiter. Da hilft nur noch die körpereigenen Suchmaschine. Und da kommt es alsbald zu einem Treffer. Es ist auch eine Rede, aber eine andere, eine, die der Soziologe Max Weber vor 89 Jahren in München gehalten hat, bei der es allerdings, soweit bekannt, nichts zu essen gab. (Weber, das füge ich für solche ein, die ihre Kenntnisse überwiegend aus Jauch-Sendungen schöpfen, ist nicht der unadelige Sohn von Carl Maria, auch nicht der Großvater des WDR-Produktionsdirektors, aber auch nicht beim Weber-Aufstand dabei gewesen, obwohl er Hauptmann vielleicht kannte. Weber ist Soziologe). Seine Rede trägt den Titel Politik als Beruf, und sie beginnt mit dem, was man heute eine Gewinnwarnung nennt: „Der Vortrag, den ich auf Ihren Wunsch zu halten habe“, sagt Weber, „wird Sie... enttäuschen.“ (35) So kokett wie Weber will ich nicht sein, der vielleicht ahnte, aber nicht wusste, daß er bei 35 Jahre Ziegler Film eine Rolle spielen würde. Denn ich weiß ganz genau: Sie werden alles andere als enttäuscht sein, wenn sie heute kostenlos wie alles übrige auch erfahren, was Sie so bisher nicht gewusst haben, daß Weber nämlich schon im nächsten Satz eine zierliche Spur vom Beruf des Politikers zum Produzenten legt. Er definiert Politik als „ jede Art selbständiger leitender Tätigkeit“ (35). Als Beispiel spricht er, so, als habe er diesen Tag vorausgesehen, „von der Politik einer klugen Frau“ (35).

 

Keiner von Ihnen, ich weiß es, hätte das gedacht. Weber spricht zwar über den Beruf des Politikers, aber eigentlich meint er den Beruf des Produzenten. Denn will nicht gerade auch der Produzent, was der Politiker will: leiten? Wollen nicht beide dasselbe – herrschen? Macht ausüben? Macht aber, sagt Napoleon schon lange vor Lumiere und Jahre vor Weber - Macht ist Herrschaft über die Augen. Und was will und was hat ein Produzent mehr? Auch und gerade am Freitagabend prime in der time mit vorerotischen Degeto-Tales?

 

Lassen wir Napoleon, folgen wir weiter Weber! Der unterscheidet drei Typen von Herrschern. Der erste ist der Patriarch. Da denken wir an Leo Kirch – der Herr hat´s gegeben, die Bank hat´s genommen. Der zweite Typ ist von unbestechlicher Sachkompetenz. Er weiß viel und das Meiste besser. Sie wissen, wen ich meine. Ich verzichte auf Namen. Und der dritte Typ – das sind die, die ein Charisma haben, also das, was Tagesschau-Sprecher gerne Charisma nennen. In ihnen, sagt Weber „wurzelt der Gedanke des Berufs in seiner höchsten Ausprägung.“ (37) Die Menschen fügen sich diesen Personen – er meint: sie arbeiten für sie – nicht etwa kraft „Sitte oder Satzung“, „sondern weil sie an sie glauben“ (37) Das aber führt mitten ins Produzieren. Nicht einmal in der Kirche wird soviel geglaubt, wie bei Fernsehschaffenden. Wenn ich nur das Wort glauben höre, sehe ich sie vor mir, höre ich sie, wie sie bei den Preisverleihungen stammeln, da habe jemand an sie geglaubt, ein Redakteur natürlich, leider wieder mal kein Intendant, auch nicht Herr Doktor Struve, der schon gar nicht. Auch einen Stoff sollte man lieber nicht beurteilen. Man sollte an ihn glauben. Das allein zählt. Und wie sagt doch Paul Auster, der weder Weber noch Regina kennt: das glaube ich erst, wenn ich es sehe.

 

Aber ich verliere schon wieder den Faden. Zurück zu Weber, der gleichfalls der Beschwörung von Glaube und Verehrung so recht nicht traut. Er nennt jedenfalls zwei sehr viel überzeugendere Gründe für die Hingabe an die Charismatiker, nämlich „materieller Entgelt und soziale Ehre“ ((38) – wobei ich Sie bitte, die Reihenfolge zu beachten. Früher bezog sich das auf „Sklaven...persönliche Günstlinge und aus den Vorratskammern mit Natural-und Gelddeputaten entlohnte Pfründner.“ (39) Heute sagt man statt Pfründner Stab.

 

Nun ist schon 1919 zu konstatieren – was hätte Weber erst heute gesagt! -, daß Charismatiker knapp sind. Umso mehr tritt der Typ nach vorne, den Weber „die Berufspolitiker“ nennt. Das sind die, „die in den Dienst politischer Herren treten“ (40), produzentlich geredet die, die man später die Auftragsproduzenten nennen wird. Sie haben zwei Möglichkeiten, ihrem Beruf nachzugehen. Entweder, indem sie „für die Politik leben“(42), für`s Produzieren also, was Regina Ziegler ja lange genug, noch vor Basel II, getan hat. Oder aber, wozu sie erst später richtig gefunden hat, sie leben „von der Politik“, vom Produzieren. Wenn nämlich jemand auf Dauer für die Politik lebt, muß er nach Weber „vermögend oder in einer privaten Lebensstellung sein, welche ihm auskömmliche Einkünfte abwirft“ (43). Er oder sie muß „wirtschaftlich abkömmlich sein“ (43), eine schöne Umschreibung dessen, was man sonst ohne Umstände einfach reich nennt.

 

Wenn wir nun unsre Gastgeberinnen ins Auge fassen: Sie leben, weil sie wirtschaftlich eben nicht so recht abkömmlich sind, vom Produzieren. Lebt man aber von, dann gibt es nach Weber nur eine Alternative. Man ist „reiner Pfründner oder besoldeter Beamter“ (44). Entweder bezieht man – so Weber wörtlich – „Einnahmen aus Gebühren“. Man kann „einen festen Lohn beziehen wie ein Redakteur....Trinkgeld und Bestechungssummen sind nur eine regellose Abart“. Oder, immer noch O-Ton Weber, man „bezieht ein festes Naturaliendeputat“ (44/45), was zuletzt seltener geworden ist.

 

Meine Damen und Herren, dies ist kein Kolleg, sondern eine Tischrede. Die nächsten dreißig Seiten Weber empfehle ich Ihrer Lektüre im Anschluß an diese Veranstaltung. Die Studienausgabe bei Mohr-Siebeck liest sich so schön wie ein Drehbuch von Kohlhaase oder Gremm. Erlauben Sie mir jetzt nur noch, die These von der Nähe von Politiker und Produzent einem letzten Test zu unterziehen und Sie an jenen Satz zu erinnern, der von Politikern viel, aber in der Regel falsch zitiert wird. Sie kennen ihn. „Politik“ – man könnte ebenso gut sagen: das Produzieren – „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich... Nur wer sicher ist“, so Weber, „daß er daran nicht zerbricht, wenn die Welt von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, daß er all dem gegenüber: dennoch! zu sagen vermag, nur der hat den Beruf zur Politik.“ (88) ..“der, der das tun kann“, sagt Max Weber , „muß ....ein Held sein...

 

Regina ist in diesem Sinne eine Heldin und Tanja auf einem interessanten Weg dorthin. „Vom SFB befreit, hat Regina angefangen, Spielfilme und Fernsehfilme und Serien zu produzieren. Und seit sie damit angefangen hat, hat sie im Grunde genommen kaum einen einzigen Tag damit aufgehört. Das kann sich der Mittelstand auch gar nicht leisten, den sie sich leistet. Mittelstand, wenn Sie mich fragen, was das ist - das ist der einzige Stand, in dem man anständig sein muß und zugleich selbständig ist.

 

Während andere vergeblich nach dem Positiven suchten, hat Regina Ziegler erfolgreich Negative gesammelt, Stück für Stück, hat sich mit Haut und Haaren auf den Zähnen dem Suchen von Stoffen, dem Entdecken von Schauspielern, dem Kampf um Rechte. Sie gab sich dem Beschaffen von Budgets ebenso hin wie der Zähmung von Regisseuren, manchmal in fröhlicher Verbitterung: Liebe deine Feinde, es könnte ihnen schaden! Sie tat dies atemlos. Manchmal bargeldlos. Doch niemals hoffnungslos.“

 

Mit Leidenschaft und mit Augenmaß.

 

Soviel, meine Damen und Herren, vor Tisch. Max Weber, Politik als Beruf. München 1919. Regina und Tanja Ziegler, Produzieren als Beruf, Berlin 1973 bis zunächst mal 2008.

 

Das wird dann wirklich nur noch übertroffen von: Johann Sebastian Bach, Komponieren als Beruf, von Eisenach bis Leipzig, 1685 bis 1750.

 

Wenn Sie verstehen, was ich meine.

 

Und dann nur noch dies, zwischen dem Redner und der Beredeten: Ein Mann steht gewöhnlich lange unter dem Eindruck, den er auf eine Frau gemacht hat. Heute mal wieder.

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